Preisgestaltung und Selbstwertgefühl

Preisgestaltung ist ein wesentlicher Aspekt beim Verkauf von handgemachten Produkten. Vielleicht sogar noch mehr als in anderen Bereichen, da es leider nicht nur um die tatsächlichen Kosten für ein Produkt geht, sondern auch um eine ganz wesentliche Frage: wie viel ist meine Zeit eigentlich wert? Ein ähnliches Problem haben viele Freelancer wie z.B. Texter, die ihre Stundensätze auch vor allem vor sich selbst rechtfertigen müssen. Und vor einer Flut von Angeboten aus Niedriglohnländern. 

Sozialisierung als Faktor

Immer wieder kommt das Thema Preisgestaltung in den Etsy-Foren oder auch in Facebook-Gruppen für auf. Oder ich stolpere über Shops, bei denen mir die Preise als viel zu niedrig für handgemachte Produkte vorkommen. 

Ganz ehrlich, mein erster Gedanke ist dann „Ist das echt alles selbstgemacht?“. Und der zweite ist „da bleibt aber nicht viel über, wenn es selbst gemacht ist“. Und dann fange ich an und schaue, wie der Anbieter das so günstig schafft. Wird Arbeitszeit an billige Arbeitskräfte ausgelagert? Wird am Material oder an der Sorgfalt gespart?

In den meisten Fällen ist die Antwort aber leider eine andere: Die Verkäuferin (ja, es sind meistens Frauen) spart bei sich selbst. Und zwar, indem Kosten nicht richtig berechnet werden oder auf einen vernünftigen Stundenlohn für sich selbst verzichtet wird.

Leider ist das kein Einzelfall, sondern zieht sich durch. Und ich glaube, es liegt nicht nur daran, dass man eher gefühlte als kalkulierte Preise ansetzt. Wenn ich nach Konkurrenzprodukten schaue, gibt es meistens eine Spanne. Und meistens liegt der Preis dann eher am unteren Ende dieser Spanne. 

Das Problem ist meiner Ansicht nach eher die Frage, ob man das denn überhaupt verlangen darf für seine Produkte. Wir haben bestimmt alle schon aus der Familie oder von Freunden gehört, dass sie zu DIESEM Preis ja nicht kaufen würden. Und da die Materialkosten irgendwann nicht mehr weiter zu drücken sind, bleibt dann nur der Arbeitslohn. Aber auch soziale Grundmuster spielen hier rein. Frauen wird oft von klein auf suggeriert, dass ihre Zeit nicht so viel wert ist. Viele Frauen erledigen einen Großteil Care-Arbeit. Natürlich ohne Bezahlung, oft sogar zusätzlich zu einem schlecht bezahlten Job. Stundenlöhne quer durch alle Berufsgruppen sind in der Regel niedriger. Höhere Positionen in Firmen sind meistens mit Männern besetzt. Natürlich tut das psychologisch etwas mit einem bei der Frage, wie viel die eigene Arbeitszeit denn wert ist. 

Dazu kommt aber gerne noch ein weiterer Aspekt: Das Verkaufen handgemachter Produkte (egal ob physisch oder digital) wird oft nicht wertgeschätzt. Da fallen dann Bezeichnungen wie „Bastelei“, „Zeitvertreib“ oder auch immer wieder „ein richtiger Job ist das ja nicht“. Hierzu möchte ich dir auch diesen Artikel zum Thema „Dreifacher Gender-Pay-Gap für selbständige Frauen“ empfehlen.

Preisgestaltung als Marketingansatz

Wenn ich bei Verkäufern nachfrage, warum sie ihren Preis so niedrig ansetzen, bekomme ich ganz oft die gleiche Antwort:

„Ich bin ja noch ganz am Anfang. Ich setze den hoch, wenn ich Erfolg habe.“

Mit diesem Erklärungsansatz habe ich gleich mehrere Probleme. 

1) Du hast überhaupt keine Ahnung, ob dein Produkt für den höheren Preis auch funktioniert. Du machst dich von einem sehr subjektiven Gefühl von „Erfolg“ abhängig. Und ich kann dir so sagen, die Aussage wird sich später ändern in „ich kann den Preis nicht hochsetzen, ich weiß ja nicht, ob dafür dann auch noch jemand kauft“. 

2) Du gewöhnst deinen Kunden an den niedrigen Preis. Damit verdirbst du nicht nur dir selbst die Preise, sondern allen Mitbewerbern gleich mit. 

Ist ja nur ein Hobby

Eine zweite beliebte Antwort ist, dass man das ja nur als Hobby betreibt und deswegen froh ist, wenn man überhaupt was dafür bekommt. Oder sich nur ein bisschen Taschengeld dazu verdienen möchte. 

Übersetzt heißt das, dass du draufzahlst. Denn in den meisten Fällen hast du vielleicht deine Materialkosten eingerechnet und vielleicht noch ein klein bisschen obendrauf. Aber ich bezweifle ganz stark, dass du überhaupt an die ganzen Nebenkosten gedacht hast, die deine Tätigkeit so verursacht – oder verursachen sollte, wenn du an alle notwendigen Dinge gedacht hast. 

Schauen wir uns doch einmal an, was alles zum Preis eines Produktes dazu gehört. 

Was alles in den Preis gehört - der einfache Teil

Wenn du deine Preise kalkulierst, musst du sehr viele Punkte mit einfließen lassen. Der offensichtliche Punkt sind natürlich die Materialkosten. Das ist oft relativ gut zuordbar bei Handmade-Produkten, weil du eine relativ klare Anzahl an Dingen brauchst. 

Dein Handmade-Shop verursacht aber noch eine ganze Menge an Kosten, die halt nicht klar zu einem Produkt gehören. Hier mal eine vermutlich nicht abschließende Liste:

  • Gebühren für das Einstellen und Verkaufen von Produkten auf dem gewählten Marktplatz und/oder laufende Kosten für den eigenen Shop
  • Nebenkosten für die Materialbeschaffung (z.B. Benzin für Fahrt zum Großhändler)
  • Maschinen und Kleinkram für die Herstellung (Anschaffung, Wartung und Ersatz)
  • Verpackungsmaterial
  • Werbekosten inkl. Werbematerial
  • Rechtstexte für den Shop und evtl. Social Media
  • Verpackungslizenz
  • Beiträge für Handwerkskammer oder IHK
  • Berufsgenossenschaften
  • Programme für Bildbearbeitung, Recherche etc. 
  • Weiterbildung
  • Buchhaltung (z.B. Buchhaltungsprogramm, Steuerberater)
  • Lagerplatz / Arbeitsbereich (Einrichtung und anteilige Miete)
  • Computer und Kamera / Handy zum Produkte einstellen, Verwaltung etc. 
  • anteilig Strom, Wasser, Abfall etc. 
  • Versicherungen für Gewerbe
  • Rücklage Rente
  • Krankenkasse
  • Material für Produktentwicklung inkl. Fehlschläge
  • Rücklage für Notfälle

Vielleicht treffen nicht alle Punkte von der Liste auf dich zu aber mit Sicherheit ein guter Teil. Und wenn du gründlich überlegst, fallen dir vielleicht noch ein paar mehr ein. Alle diese Punkte haben gemein, dass sie sich nur schwer gezielt einem Produkt zuordnen lassen. Daher werden sie in der Preiskalkulation gerne vergessen. Aber grundsätzlich sind es immer noch Punkte, denen du einen relativ eindeutigen Wert zuordnen kannst. Auch wenn das ausrechnen manchmal kompliziert ist. 

Zusätzliche Arbeitszeit kalkulieren - der schwierige Part

Deine Produkte haben aber noch einen anderen Faktor, nämlich deine Arbeitszeit. Und hier kommen wir nun zum schwierigen Punkt, da du dafür keine Rechnung mit klar zu beziffernden Kosten bekommst. 

Häufig ist es schon schwierig, die Arbeitszeit für ein Produkt genau festzulegen. Zumal das auch mal schwanken kann. Wenn du z.B. nähst, wirst du für die ersten Teile länger brauchen als wenn du in Übung bist und einen guten Arbeitsablauf hast. Welche Zeit zählt dann? Nimmst du die vom Anfang oder bist du optimistisch oder greifst du einen Wert einfach aus der Luft? Also z.B.: das Shirt darf maximal 2 Stunden dauern. (Spoiler: tut es nicht immer!)

Aber neben der reinen Arbeitszeit für deine Produkte kommt auch hier leider noch wieder eine ganze Liste, die sich nicht klar einem Produkt zuordnen lässt oder die man einfach gerne mal vergisst:

  • Zeit für Materialbeschaffung inkl. Recherche
  • Kommunikation mit Kunden
  • Einstellen von Produkten
  • Verpacken und Waren zur Post bringen
  • Social Media
  • Weiterbildung
  • Buchhaltung
  • Prototypen erstellen inkl. Fehlschläge und Recherche möglicher Produkte
  • Fotos machen und bearbeiten
  • Urlaubszeit

All diese Zeiten wendest du auf und damit müssen auch diese Zeiten bezahlt sein. Hast du sie bisher einkalkuliert?

Wie indirekte Kosten einrechnen?

Als Handmade-Verkäufer hast du nur die Preise für deine Produkte, um deine gesamten Kosten zu decken. Das heißt, du musst damit die direkten Kosten (Material für das Produkt und Arbeitszeit für die Herstellung) decken aber auch die ganzen drumherum (Overhead-Kosten). Die direkten Kosten sind einfach und mit ein bisschen Mühe kannst du auch noch einen Teil der restlichen zuordnen. Aber bei vielen Posten gibt es einfach keine 1:1 Zuordnung. 

Wie du diese Kosten am besten einrechnest, hängt sehr stark davon ab, was für Produkte du verkaufst, ob du sie auf Bestellung herstellst und noch ein paar andere Dinge. Grundsätzlich gibt es folgende Varianten:

  • Du verteilst du Kosten pauschal auf die Produkte. Dazu musst du eine Annahme treffen, wie viel du im Monat oder Jahr verkaufst. Der Rechenweg ist dann:
    Summe aller Overhead-Kosten / verkaufte Produkte = Anteil Overhead-Kosten pro Produkt
  • Du verteilst die Kosten anteilig auf die Produkte. Das geht entweder über den Produktpreis oder über die Arbeitszeit. Beim Produktpreis musst du dir selbst überlegen, wie die Anteile sind. Bei der Arbeitszeit musst du dir überlegen, wie viele Stunden pro Woche, Monat oder Jahr du an deinen Produkten arbeitest. Der Rechenweg ist dann:
    Summe aller Overhead-Kosten / Arbeitszeit an Produkten = Anteil Overhead-Kosten pro Stunde
Beides ist natürlich nur ein Schätzwert, aber du hast zumindest eine Chance, deine tatsächlichen Kosten auch reinzuholen. 

Stundenlohn - wie viel bist du dir selbst wert?

Wenn wir von Arbeitszeit sprechen, sprechen wir immer auch von Stundenlohn. Und den legst du selbst fest. Daher einmal Hand aufs Herz:

Welchen Stundenlohn gibst du dir selbst für deine Arbeit? 

Und ich hoffe jetzt einfach mal, dass du dir überhaupt einen gibst. 

Zur Orientierung, der gesetzliche Mindestlohn liegt aktuell (März 2024) bei 12,41 EUR brutto, also vor Steuer.  

Das ist aber ein Lohn für Angestellte, bei denen z.B. Teile der Krankenkasse mit getragen werden vom Arbeitgeber. Wenn du mit deinem Handmade-Business voll selbständig bist, solltest du dich auf keinen Fall zum Mindestlohn verkaufen. 

Nachdem du jetzt hoffentlich bei der Lektüre zumindest deine Kosten überschlagen hast: Zahlst du dir einen angemessenen Stundenlohn? Landest du am Ende unter dem Mindestlohn oder zahlst sogar drauf? 

Hast du ein Polster für unerwartete Ausgaben oder auch Ausfälle wegen Krankheit? Hast du sogar einen Gewinn einkalkuliert? 

Wenn du unsicher bist oder sogar mit „nein“ geantwortet hast, frag dich bitte ernsthaft, warum das so ist. Glaubst du, deine Arbeit ist den gesetzlichen Mindestlohn nicht wert? Wenn ja, wer hat dir das vermittelt? Und welche Kompetenz hat er, das für dich zu entscheiden? Warum darf diese Person dir sagen, dass deine Zeit nichts wert ist? 

Wenn du jetzt hier sitzt und sagst, dass zu höheren Preisen doch keiner deine Sachen kaufen wird, lies dir noch einmal den Anfang dieses Artikels durch. Ich habe zuerst nach Gründen gesucht, warum der Preis so niedrig sein kann. Und ich habe vermutet, dass du irgendwo sparst. Das tue nicht nur ich, das tun auch potenzielle Kunden. Das heißt, mit einem niedrigen Preis lockst du keine Kunden an, zumindest keine, die du auch haben willst. Idealerweise bist du im oberen Mittelfeld. 

Also, trau dich! Ruf den Preis auf, den deine Ware und du wert bist. 

Und wenn diese Preise deutlich über dem liegen, was deine Konkurrenz auf dem gewählten Absatzmarkt verlangt, ist es vielleicht nicht der richtige Markt. Oder sie kalkulieren alle nicht. Dann kannst du immer noch mit Fotos und Beschreibung deine Kunden davon überzeugen, dass sie nur bei dir richtig sind.

Oder du beschließt, dass du dich nicht unter Wert verkaufen magst und suchst dir etwas anderes. Du wirst mit Sicherheit keine Freude daran haben, wenn du arbeitest wie verrückt und am Ende ein Minus machst. 

 

Es darf auch einfach ein Hobby sein

Wenn du jetzt feststellst, dass dir das alles einfach zu viel ist und du doch eigentlich nur dein Hobby genießen willst: 

Steh dazu, dass es ein Hobby ist. 

Man muss nicht aus allem, was man so tut, gleich eine Einnahmequelle machen. Mach Freunde oder Familie glücklich mit deinen Sachen. Es ist auch völlig ok, wenn dir dann die reinen Materialkosten reichen oder du nur einen symbolischen Preis nennst. 

Aber wenn der nächste um die Ecke kommt mit „du kannst das so gut, verkauf das doch“, dann frag denjenigen mal, ob er realistische Preise dafür zahlen würde. Und wenn er das nicht tun würde, dann kannst du gleich hinterher fragen, warum du dich unter Wert verkaufen sollst. 

Und jetzt kannst du hier weiterlesen

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